G7-Gipfel

Im Wortlaut: Bundeskanzlerin Merkel

Globalisierung gerecht gestalten

Datum 30.05.2015

Intensive Gespräche bei den G7-Treffen seien von großem Wert, um gemeinsam Lösungen finden zu können, betonte Kanzlerin Merkel. Mit Klimaschutz und der globalen Gesundheitsvorsorge greife der Gipfel in Elmau wichtige Themen auf. Beim Freihandelsabkommen TTIP hofft Merkel auf einen Abschluss noch in diesem Jahr.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei eiiner Pressekonferenz im Porträt "Wir müssen beharrlich bleiben": Mit Blick auf den Klimagipfel in Paris ist auch die Erderwärmung Thema in Elmau. Quelle: Bundesregierung/Denzel

Süddeutsche Zeitung (SZ): Frau Bundeskanzlerin, warum müssen sich sieben Staats- und Regierungschefs in einem abgelegen Tal treffen? Ein gewaltiger Aufwand – wo ist der Ertrag?

Merkel: An Ertrag wird es nicht mangeln, dafür haben wir lange gearbeitet. G7 ist ja weit mehr als das Treffen in Elmau; die zwei Tage dort sind der Abschluss monatelanger Vorarbeiten. Dabei haben wir uns als Gastgeber nicht nur mit den sechs anderen Staaten und der EU ausgetauscht, sondern auch mit Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftlern, Gewerkschaften, Wirtschaftsvertretern und auch mit Jugendlichen gesprochen. Die Gespräche auf solchen Gipfeln sind offener und intensiver, als sie es bei üblichen Treffen sein können. Wenn die sieben Staats- und Regierungschefs großer Demokratien einmal im Jahr Zeit für so ausführliche Gespräche haben, dann ist das für unsere Politik, für unsere Fähigkeit, gemeinsam Lösungen zu finden, von großem Wert.

SZ: Der Protest ist dennoch enorm - der Sicherheitsaufwand, die Kosten. Könnte man nicht im Kanzleramt tagen?

Merkel: Wir wollen unseren Gästen ein wunderschönes Stück Deutschland zeigen und in dieser Atmosphäre in einer Form tagen, die für die Ergebnisse solcher Gipfel wichtig ist.

SZ: Die G7 sind ein Protestziel. Warum?

Merkel: Das Recht auf friedlichen Protest ist ein hohes Gut, und ich kann nachvollziehen, dass Demonstranten auch für ihre Überzeugungen die bestmögliche Aufmerksamkeit suchen. Ich hoffe, dass das strikt gewaltfrei geschieht. Dennoch gibt es oft auch Gruppen, die die staatlichen Sicherheitsvorkehrungen auf die Probe stellen wollen; dafür müssen mit den Erfahrungen früherer Großereignisse Vorkehrungen getroffen werden, um die Sicherheit für alle zu gewährleisten.

SZ: Überlagert das negative Image von G7 inzwischen die Inhalte?

Merkel: Die G7, das sind sieben demokratische Nationen, verbunden durch ihr Eintreten für Freiheit und Menschenrechte. Und es sind sieben Nationen mit erheblichen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, entwicklungspolitischen Möglichkeiten, aus denen Verantwortung erwächst. Es ist nur verständlich, dass die Globalisierung und unsere Rolle dabei viele Bürger umtreiben. Man kann das doch positiv sehen: Die Nebengipfel, die Debatten, das alles gehört zu einer lebendigen Demokratie.

SZ: Die Gegner argumentieren, dass die G7 als Hauptprofiteure der Globalisierung lediglich ihre Verhältnisse sichern wollten.

Merkel: Da widerspreche ich. Uns sind die Folgen der Globalisierung, bei uns wie in fernen Ländern, wichtig, denn wir wollen diesen Prozess gerecht gestalten. Das ist die Wurzel unseres Engagements für den Klimaschutz, in der Entwicklungszusammenarbeit oder bei der globalen Gesundheitsvorsorge, um drei Themen zu nennen, die in Elmau besonders wichtig sein werden. Damit greifen wir als G7 zentrale Herausforderungen mit globaler Relevanz auf, die sehr vielen Menschen wichtig sind. Man kann natürlich immer noch mehr tun, der Handlungsdruck steigt stetig an, aber diesem Druck stellen sich die Industrienationen.

SZ: Die G7 suggerieren Macht und Tat, am Ende aber gebiert der Berg eine Maus.

Merkel: Wenn wir wirkliche Fortschritte erreichen wollen, dann ist ein solcher Gipfel wichtig, aber natürlich müssen wir auch zusätzliche internationale Prozesse anschieben. Und wir müssen die großen internationalen Organisationen in die Bemühungen einbinden, die UN, die Welthandelsorganisation, die Internationale Arbeitsorganisation. Gerade diese Organisationen müssen sich ebenfalls für eine gerechte Globalisierung verantwortlich fühlen. Seit Heiligendamm 2007 treffe ich mich mit ihnen einmal jährlich. Daraus ist eine Verzahnung unserer Ziele und Projekte entstanden und so – gemeinsam- lässt sich auch wirklich etwas erreichen.

SZ: Und die Effektivität?

Merkel: Die G7 treiben die gesamte Entwicklungspolitik und die Nachhaltigkeitsagenda voran. Gleichzeitig wissen wir immer auch, dass diese sieben Länder alleine natürlich nicht alle Probleme lösen oder zum Beispiel alle Fluchtursachen beheben können, sondern weitere Partner brauchen.

SZ: Auf dem Gipfel in Nordirland wurde stundenlang mit dem russischen Präsidenten Putin über Syrien gesprochen, aber genutzt hat es nichts.

Merkel: Ohne das Engagement der führenden sieben oder früher acht Staaten wäre alles noch viel schwieriger. Nicht jedes Treffen kann sogleich zu einem Ergebnis führen. Dennoch bleibe ich dabei, dass angesichts der Vielzahl der Konflikte auf der Welt diese intensiven Gespräche einmal im Jahr sinnvoll sind.

SZ: Und Syrien …

Merkel: Immerhin haben wir kurz nach dem G20-Gipfel 2013 eine Lösung zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen gefunden. Das war sehr wichtig, wenngleich die Lage dort auch heute noch dramatisch ist.

SZ: Was ist Ihr Herzensthema für Elmau?

Merkel: Mir sind alle Themen auf unserer Tagesordnung wichtig, zwei will ich gerne hervorheben: Wir bereiten den Klimagipfel in Paris vor, die Verhandlungen werden nicht einfacher als in Heiligendamm. Zweitens ist mir das Gesundheitsthema sehr wichtig. Es geht darum, welche Lehren wir aus der Ebola-Epidemie ziehen und wie wir uns auf künftige Epidemien vorbereiten sollten. Unser Ziel muss es sein, binnen weniger Jahre so etwas wie eine Welttaskforce zu haben. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept mit allen Beteiligten– z.B. der Weltgesundheitsorganisation, der Weltbank oder der Pharmaindustrie. Wichtig sind Finanzierung, Logistik und ein schnelles Eingreifen z.B. durch sogenannte Weißhelme. Das ist ein dickes Brett, aber wir sollten es bohren.

SZ: Lassen Sie uns das Klima-Thema konkret betrachten. Die Gipfel von Toyako 2008, L’Aquila 2009, Muskoka 2010 und Deauville 2011 – überall wurde eine Halbierung der Emissionen gefordert. Dennoch sind sie gestiegen. Wie viele dieser Gipfel sollen noch vergehen, bis etwas passiert?

Merkel: Wir müssen beharrlich bleiben. Immerhin können wir in diesem Jahr zum ersten Mal wieder mit einem Klimaabkommen dem Ziel näherkommen, den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius zu begrenzen.

SZ: Sie sprechen vom Abkommen, das im Winter in Paris geschlossen werden soll.

Merkel: Dort könnten wir zum ersten Mal erreichen, dass sich auch Schwellenländer auf die Reduktion der Emissionen verpflichten. Die CO2-Bilanz hat sich inzwischen so verschoben, dass die Industrienationen alleine gar nicht mehr in der Lage sind, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Deshalb ist es so positiv, dass China jetzt einen gewissen Zeitpunkt setzt, ab dem es seine Emissionen mindert. Auch die amerikanische Haltung zu nationalen Verpflichtungen hat sich verbessert.

SZ: Das klingt alles sehr vage.

Merkel: Das sehe ich nicht so. Wenn Sie mich vor fünf Jahren gefragt hätten, ob China zu erklären bereit ist, dass es ab 2030 seine Emissionen reduziert, hätte ich das für schwer möglich gehalten. Damit ist der Einstieg auch für die Schwellen- und Entwicklungsländer gegeben. Nun müssen wir sicherstellen, dass es auch eine Kontrolle gibt.

SZ: So soll sich das Zwei-Grad-Ziel halten lassen?

Merkel: In den letzten zehn, 15 Jahren hat sich gezeigt, wie schwierig es ist, dieses Ziel zu erreichen, aber dennoch bleibt es wichtig.

SZ: Das Schlagwort der deutschen G7-Präsidentschaft heißt jetzt "Dekarbonisierung", also die völlige Abkehr von Kohlenstoffen. Ziehen die anderen sechs da mit?

Merkel: Deutschland und Frankreich werden sehr treiben, um möglichst viele Zusagen von den G7-Ländern jetzt schon zu bekommen, aber noch herrscht keine Einigkeit.

SZ: Deutschland hat derzeit auch sein eigenes Dekarbonisierungsthema, eine Debatte um die Zukunft der Kohle. Würden Sie einem jungen Menschen empfehlen, in der Lausitz eine Lehre im Braunkohle-Tagebau zu beginnen?

Merkel: Wenn er bereit ist, lebenslang zu lernen – warum nicht? Klar ist: Auch wir müssen unsere nationalen Ziele erfüllen. Da haben alle einen Beitrag zu leisten, beileibe nicht nur im Bereich der Braunkohle. Wir haben große Lücken etwa im Wärmemarkt. Und trotz vieler rot-grüner Landesregierungen schaffen wir es nicht, die steuerliche Förderung energetischer Gebäudesanierung auf die Beine zu stellen.

SZ: Immerhin ist die Braunkohle hauptverantwortlich dafür, dass die deutschen CO2-Emissionen wieder stiegen.

Merkel: Weil wir mehr Braunkohlestrom exportieren. Das Hauptproblem liegt darin, dass der Emissionshandel der EU seine Lenkungswirkung nicht richtig entfaltet. So bekommt der Ausstoß von Kohlendioxid einen Preis, der weit unter den ursprünglichen Erwartungen liegt. Das Preissignal ist derzeit unzureichend.

SZ: Ihr Vizekanzler Sigmar Gabriel hat genau dafür eine Lösung vorgelegt, mit einer zusätzlichen Klimaabgabe für Kraftwerke. Warum tun Sie sich so schwer damit?

Merkel: Wirtschaftsminister Gabriel und ich sind uns einig, dass Deutschland seine Klimaziele erreichen muss – und zwar ohne, dass in bestimmten Regionen ein massiver Verlust an Arbeitsplätzen eintritt. Er spricht mit allen Betroffenen über seinen Vorschlag und prüft ebenso alternative Vorschläge, das begrüße ich.

SZ: Die G7 fühlten sich immer dem Freihandel verpflichtet. Das Abkommen zwischen den USA und den Pazifikanrainern kommt gut voran, auf der atlantischen Seite dagegen, bei TTIP, tut sich wenig. Müssen Sie sich da mehr engagieren?

Merkel: Die Bundesregierung ist schon jetzt sehr engagiert. Wir haben im Europäischen Rat beschlossen, dass die EU und die USA alles daran setzen sollen, die Verhandlungen bis Jahresende zum Abschluss zu bringen.

SZ: Kann denn TTIP in der Amtszeit von Barack Obama überhaupt noch gelingen?

Merkel: Ich hoffe es, denn ansonsten wird eine lange Pause eintreten. Mit ist es wichtig, dass der transatlantische Freihandel mit dem pazifischen Schritt hält.

SZ: Woran liegt es, dass in Deutschland der Widerstand so immens ist?

Merkel: Es kommt die Sorge zum Ausdruck, ob unsere sozialen und ökologischen Standards Bestand haben können. Natürlich hat ein Freihandelsabkommen zweier so großer Wirtschaftsräume eine hohe Symbolkraft. Manche Verbraucherschutz-  oder Umweltorganisation bekämpft das Abkommen, nicht weil sie unsere Standards halten will – das wollen und das werden wir auch - sondern weil sie die Möglichkeit nutzen will, sie noch weiter zu erhöhen. Das ist in dem Zusammenhang der falsche Ansatz.

SZ: Belasten die Enthüllungen über amerikanische Spionageaktivitäten diese Verhandlungen, weil das Vertrauensverhältnis beschädigt worden ist?

Merkel: Nein. Was im Zusammenhang mit Problemen bei den Nachrichtendiensten zu klären ist, wird geklärt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir im Interesse der Sicherheit unserer Bürger die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika wie auch mit den europäischen Partnern brauchen. Genauso brauchen wir verbesserte Handelsbeziehungen. Beides ist gut für Deutschland.

SZ: Mancher Widerstand scheint sich doch aus sehr grundsätzlichen Bedenken gegen die USA zu speisen.

Merkel: Dann muss man auch grundsätzlich über das transatlantische Verhältnis reden. Die USA sind einer unseren wichtigsten Handelspartner. Gerade für unsere Exportwirtschaft sind die USA außerhalb der Europäischen Union der größte Markt, deutlich größer als China. Es ist im Interesse unserer Arbeitsplätze und unseres Wohlstands, den Handel mit den USA zu fördern und ihn nicht Wettbewerbern aus anderen Weltregionen zu überlassen.

SZ: Die jüngste Belastung ist aus der Frage entstanden, wie die Geheimdienste miteinander kooperieren. Von Ihnen stammt der Satz: Abhören unter Freunden geht gar nicht. Der BND hat aber im Auftrag der NSA fragwürdige Spionage betrieben. Heißt das: Abhören von Freunden mit Freunden geht sehr wohl?

Merkel: Vorweg gesagt: Es ist unverändert so, dass die Bundesregierung zu einzelnen nachrichtendienstlichen Aspekten nicht öffentlich Stellung nimmt, sondern gegenüber den parlamentarischen Gremien. Das gilt auch für dieses Gespräch. Wir haben dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zahlreiche Dokumente überlassen, um alle Fragen aufzuklären. Ich bin überzeugt, dass nachrichtendienstliche Tätigkeit jedem von uns Sicherheit und Schutz gibt. Ich habe im Juli 2013 gesagt, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt. Das steht hinter meinem Satz, dass das Abhören von Freunden nicht geht. Das gilt unverändert.

SZ: Dieser Satz war so zu verstehen, dass Deutschland sich an solchen Aktivitäten wie dem Abhören von Freunden nicht beteiligt. Das können Sie aber offensichtlich nicht mehr ausschließen.

Merkel: Wie gesagt, zu einzelnen Aspekten der nachrichtendienstlichen Arbeit äußert sich die Bundesregierung nicht öffentlich. Mein politischer Satz beschreibt ganz offensichtlich einen anspruchsvollen Grundsatz, dennoch halte ich ihn für wichtig.

SZ: Was heißt das?

Merkel: Im Lichte der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses wird zu entscheiden sein, welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind.

SZ: Wie soll der Ausschuss das angehen? Soll ein Vertrauensmann richten?

Merkel: Darüber wird die Bundesregierung zum gegebenen Zeitpunkt entscheiden. Noch läuft das Konsultationsverfahren mit den Vereinigten Staaten. Wir werden eine Entscheidung treffen, die ich für verantwortbar halte. Wenn es aus der Vergangenheit Lehren zu ziehen gibt, werden wir sie ziehen.

SZ: Wie könnten die aussehen?

Merkel: Das werden wir dann sehen, nicht heute.

SZ: Dass man Freunde nicht abhört.

Merkel: Ja.

SZ: Also eine politische Selbstbeschränkung für die Geheimdienste, was sie zu tun und was sie zu unterlassen haben.

Merkel: Ich greife den Ergebnissen der Untersuchungen nicht vor. Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass die Dienste jetzt schon den für sie geltenden Gesetzen unterliegen.

SZ: Jenseits der Kooperation der NSA mit dem BND steht der Vorwurf im Raum, dass Sie im Wahlkampf 2013 falsche Erwartungen geweckt haben. Kanzleramtschef Ronald Pofalla hat damals davon gesprochen, dass es ein No-Spy-Abkommen geben werde, obwohl es eine solche politische Zusage der USA nie gegeben hat. Haben Sie die Öffentlichkeit belügen lassen?

Merkel: Natürlich nicht. Es gab zwischen der amerikanischen Seite und uns Gespräche, die es möglich erscheinen ließen, ein solches Abkommen zu vereinbaren. Von dieser Einschätzung hatte ich Kenntnis. Nach bestem Wissen und Gewissen haben wir dazu gesagt, was wir zu dem jeweiligen Zeitpunkt wussten.

SZ: Der entscheidende Punkt ist aber, dass Herr Pofalla sagte, die amerikanische Seite habe ein solches Abkommen angeboten, obwohl sie das offenkundig nie getan hat.

Merkel: Jetzt muss ich erneut vorausschicken, dass alle konkreten Einzelheiten nicht im Rahmen eines solchen Gesprächs, sondern nur in den zuständigen parlamentarischen Gremien erörtert werden können. Ich kann deshalb nur wiederholen, dass es Kontakte zwischen beiden Seiten gegeben hatte, die es angeraten erscheinen ließen, Verhandlungen über ein solches Abkommen zu führen.

SZ: War ja auch in ihrem Wahlkampfinteresse.

Merkel: Es war im Interesse des Gedankens, dass Abhören unter Freunden nicht geht. Wir hätten nicht verantwortlich gehandelt, wenn wir die Möglichkeit nicht aufgegriffen hätten.

SZ: Hat Herr Pofalla zu viel versprochen?

Merkel: Ich bin überzeugt, dass er nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat.